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21 Feb 2021 21:48:52 UTC
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Verfassungsrecht-auf-Widerstand-Von-Dirk-Pohlmann-KenFM.de
Ein Kommentar von Dirk Pohlmann.
Artikel 20 des Grundgesetzes ist einer der wesentlichen Normen des Grundgesetzes. Das bedeutet konkret, dass die ersten 3 Absätze des Artikel 20 in ihrem Bestand und Sinn nie geändert werden dürfen. Das gilt ansonsten nur noch für den Artikel 1, der die Würde des Menschen und die Menschenrechte als Grundlage und Zweck allen staatlichen Handelns festschreibt.
In den ersten 3 Absätzen des Artikel 20 wird festgelegt, dass Deutschland eine Demokratie mit Wahlen ist, ein Sozialstaat, ein Bundesstaat, in dem die Länder wichtige Regelungen treffen können und eine Republik. Die Umwandlung Deutschlands in eine Monarchie ist also nicht mehr legal möglich.
Wörtlich lautet der Artikel 20:
(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.
(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.
(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.
Den ersten 3 Absätzen wurde 1968 ein vierter hinzugefügt. Artikel 20 Absatz 4 des Grundgesetzes lautet:
Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.
Was bedeutet dieses Recht zum Widerstand gegen die Abschaffung der verfassungsmäßigen Ordnung?
Das Recht auf Widerstand gegen eine tyrannische Herrschaft wurde von verschiedenen Philosophen seit dem Altertum deklariert. Aber dieses Recht ist ein Naturrecht jenseits des kodifizierten Rechts, also eine Idee und kein Gesetzestext. Ein juristisches Recht auf Widerstand gibt es in dieser Form nur in Deutschland. Das hat seine Gründe.
Jede Verfassung steht auf einem hohen Sockel und wird in vielen Sonntagsreden mit geradezu religiöser Inbrunst gleichsam als Zentralheiligtum des jeweiligen Staates beschworen. Wer erfolglos einen Staatsumsturz versucht, wird vom obersten Gericht des weiter bestehendes Staates nicht nur verurteilt, sondern auch als widerlicher Abschaum denunziert, bevor man ihn hinrichtet. Wie papiern der Anschein von staatlicher Ewigkeit ist, dessen Erscheinungsform die Verfassung ist, sieht man an den Schauprozessen gegen die Verschwörer des 20. Juli, die Hitler töten wollten. „Sie sind ja ein schäbiger Lump!“ dröhnte Roland Freisler als Staatsrepräsentant aus seiner edlen Robe, als ihm Graf Schwerin im Volksgerichtshof zur Erniedrigung und Vernichtung vorgeführt wurde.
Wie gesagt, Deutschland ist ein Sonderfall. Wenige Jahre später war Freisler die Symbolfigur eines schäbigen Lumps, und Graf Schwerin ein hochgeehrter Widerstandskämpfer, nach dem Straßen benannt wurden. Es gab eine neue politische Ordnung, Ergebnis eines verlorenen Krieges mit einer neuen Verfassung: dem Grundgesetz. Einerseits. Andererseits war es so: Der deutsche BND Chef und Nazigeneral Gehlen, ein treuer Diener des 3. Reiches und dann der USA , ein schäbiger Lump und erfolgreicher Karrierist, war in Sachen Helden des 20. Juli der Meinung: „Einmal Verräter, immer Verräter“ und ließ die Widerstandskämpfer auch in der BRD überwachen. Der neue Staat machte es ihm möglich. Verfassung hin oder her. So sieht es ungefähr aus, das realexistierende staatliche Zentralheiligtum. Von außen immer prächtig, von innen oft weniger und manchmal stinkt es wie eine Bahnhofsunterführung.
Es nützt nichts, das nur zu beklagen. Damit der Staat nicht verkommt, ist ständige Anstrengung, Wachsamkeit und Reparaturarbeit all seiner Institutionen nötig und in einer Demokratie sind dazu insbesondere auch die Einwohner sowie eine vielgestaltige, lebendige Öffentlichkeit aufgerufen.
Die Verfassung ist zentral, sie ist wichtig, sie muss hochgehalten werden. Aber sie ist im idealen Fall nur die Kodifizierung eines realexistierenden Geisteslebens. Nicht der Text garantiert die Existenz des Geistes, der Geist garantiert die Wirksamkeit der Verfassung.
Das deutsche Grundgesetz ist aber auch die Grundlage aller anderen rechtlichen Vorschriften und insofern tatsächlich höchst wirksam, keinesfalls nur eine Absichtserklärung im Sinne des Komikers Groucho Marx: „Dies sind meine Prinzipien! Falls Sie ihnen nicht gefallen, habe ich auch noch ein paar andere.“ Denn aus der deutschen Verfassung folgen alle anderen juristischen Vorschriften mit Notwendigkeit. Sie ist Manifest und zentrales Regelwerk gleichzeitig.
Die deutsche historische Erfahrung mit Verfassungen ist wegen der Machtübernahme der Nazis einzigartig. Eine außerordentlich vitale Kulturnation verkam in den 30er Jahren innerhalb weniger Jahre zu einem Tiefpunkt der Menscheitsgeschichte. Rückblickend wurde als eine Ursache dieser selbstverschuldeten Katastrophe die Weimarer Verfassung identifiziert. Deswegen wurden im Grundgesetz neue Vorschriften als Brandmauer eingezogen. Das Regieren über den Ausnahmezustand.
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